Der Gastrosoph: Stevan Paul und sein neues Buch „Der große Glander“

Kulinarische Bücher: gibt es viele! Gut geschriebene kulinarische Bücher? Gibt es wenige. Sehr wenige! Ich habe gerade so eins gelesen: „Der große Glander“ von Stevan Paul! Go! Read!

Jedem Buch gebe ich in der Regel maximal 30 Seiten, dann entscheide ich, ob ich weiterlese oder nicht. Kann ich nur empfehlen, die Taktik. Damit erspart man sich viel Zeit und viele schlechte Bücher. Beim neuen Buch von Stevan Paul dauerte es…zwei Seiten. Dann war alles klar: es muss weiter gelesen werden. Sofort. Vielleicht liegt es daran, dass sich in diesem Buch um die beiden Themen dreht, die mir wichtig sind: die Kunst und das Kochen. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich den Gustav Glander, über den Stevan Paul hier schreibt, irgendwie ganz sympathisch finde. Aber ganz sicher liegt es daran, dass das Buch einfach ein sehr gutes Buch ist, geschrieben von jemandem, der weiß, was er schreibt und vor allem, wie man es schreibt. Stevan Paul ist gelernter Koch, Essenschreiber, Foodstylist, Kochbuchautor und Verfasser von nutriculinary einer der besten und meist gelesenen FoodBlogs in Deutschland.

Es geht hier also um Kunst – und eben um das Kochen. Es würde vielleicht ein bisschen überraschen, wenn Stevan Paul eine Abhandlung über, sagen wir, Kathodenstrahloszilloskope schreiben würde. Wobei: das könnte er wahrscheinlich auch. Es geht in seinem ersten Roman aber auch um Familie, um Männerfreundschaften, um Kunst (Eat-Art, um genau zu sein), um den Sinn des Lebens, um die Liebe, um das Essen und das Kochen. Um die Wertschätzung eines guten Gerichtes, das mit guten Zutaten hergestellt wird. Es geht um das alles verbindende Element Essen. Und: es geht auch immer mal wieder um Musik.

Die Geschichte kurz erzählt (ohne das Ende zu verraten): ein junger Maler, Gustav Glander  verlässt sein Heimatdorf irgendwo im Schwäbischen in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts, um in New York Kunst zu studieren. Er feiert schnell große Erfolge, seine Werke und seine Eat-Art-Aktionen treffen genau den Geschmack des Publikums. Ungewöhnliche Installationen und Happenings machen „The big Glander“ zum Star der New Yorker Kunstszene der 90er Jahre. Das geht eine Zeit lang gut, bis ihm das alles zuviel wird – und er plötzlich und unerwartet nach Deutschland zurückkehrt – und einfach verschwindet. Zumindest für die Öffentlichkeit. Daneben gibt es noch einen zweiten Handlungsstrang: der Kunstkritiker einer ehemals renommierten Kunstzeitschrift mit Sitz in Hamburg, Herr Möninghaus, meint zehn Jahre nach Glanders Verschwinden, eben jenen am Nebentisch gesehen zu haben. Er beginnt mit einer Mischung aus Interesse und beruflicher Not (seine Position in der Redaktion ist nicht mehr die sicherste) über den Verbleib von Gustav Glander zu recherchieren. Und da ist da noch Frau Mönninghaus, Chefredakteurin einer Frauenzeitschrift – sie erklärt ihrem leicht weltfernen Mann in regelmäßigen Abständen das Leben. Schön sind auch die immer mal die eingestreuten kleinen Geschichten aus den Leben der Hauptakteure.

Kulinarisch gesehen – und das überrascht natürlich wenig – ist das Buch voll auf der Höhe der Zeit. Wir lesen von Mandarinen-Espuma mit Wodka und Wakame-Algen. Norwegische Garnelen in Meersalzbutter aus dem Fichtenrauch. Jakobsmuschel mit Dillblütenschaum und geröstete Fenchelsamen. Es geht ums Fermentieren, und um den selbst gemachten Fischfond. Kaffee kommt natürlich nicht aus der Nespressomaschine, sondern wird handgefiltert. Im Porzellanfilter. Klar. Und natürlich nicht irgendein Kaffee, sondern Jamaica Blue Mountain. Und ist da aber auf der anderen Seite auch die zeitlose schwäbische Küche: Maultaschen mit Hackfleisch-Spinat-Füllung. Saure Linsen mit Spätzle und Saitenwürschtle. Zopfbrot mit Butter und „Erdbeer-Gsälz“. Träubleskuchen. Und natürlich Wurstsalat. Stevan Paul ist übrigens gebürtiger Schwabe, die schwäbische Küche ist für ihn ein Heimspiel.

Musik gibt es auch. Reichlich. Sie taucht in Textzitaten auf und ergänzt so sehr schön die Stimmung dieses oder jenen Momentes.

Allgegenwärtig sind die vielen kleinen Monologe über das Essen, das Kochen, das Genießen. So vergleicht Glanders New Yorker Galerist die Kunst mit dem Kochen: Kochen sein eine Kunst. „Wer kocht, erschafft etwas, etwas Neues, wer kocht, schafft ein Statement, eine Aussage, etwas, dass die unterschiedlichsten Deutungen zulässt – und ich rede hier nicht über schmeckt oder schmeckt nicht.

Und da wäre auch noch der Schlachtermeister aus New York, der sagt, dass „wir dafür sorgen sollten, dass die Tiere nur einen schlechten Tag im Leben haben.“ Er sorge dafür, den schlechten Tag immer mit dem größten Respekt und gebotener Eile zu beenden. WORD!

Es geht in diesem Buch um eine Haltung zum Essen, es geht um die richtige Zubereitung des Essens mit den richtigen Zutaten. Es geht um den Geschmack von gutem Brot, oder einer Sauce, die nicht aus der Tüte kommt. Oder wie Gustav Glander es zusammenfasst: „Sehr gutes Essen verbindet uns, bringt uns zusammen, es macht neugierig. Genuss schafft Kultur, Gemeinsamkeit.“

Die Optik des Buches muss sich übrigens hinter dem Inhalt nicht verstecken – im Gegenteil: das Buch präsentiert sich in einem satt-türkisfarbigen Leineneinband mit weißer Prägung und rotem Lesebändchen – die schöne Einbandgestaltung ist von  Carolin Rauen und die tolle und gut lesbare Typo für den Fließtext ist von Friedrich Althausen – und hat natürlich auch was mit Essen zu tun – sie heißt: Vollkorn.

Das Buch wurde mir freundlicherweise vom mairisch Verlag zur Verfügung gestellt.

Stevan hat mir freundlicherweise ein paar Fragen zum Buch und über das Schreiben im Allgemeinen und im Besonderen beantwortet:

 

stvan klein
© Andrea Thode

_1„Der große Glander“ ist ja ein klassischer Entwicklungsroman – und durchaus biografisch geprägt: das Schwäbische, Hamburg, Kochen – aber auch das Thema „Kunst“ und auch New York. Sind die letzten beiden Aspekte eigentlich auch irgendwie biografisch?

„Die Realität ist ja gerne mal Stichwortgeben für den Autor und mein erstes Buch „Monsieur, der Hummer und ich“ war stark biographisch geprägt. Schon bei „Schlaraffenland“ war das anders und im Roman sind es jetzt eher Erfahrungen und Erkenntnisse gastrosophischer Art, die den Text prägen. Dennoch ist „Der große Glander“ auch ein bisschen auch mein „Heimatroman“ geworden, am Bodensee bin ich aufgewachsen und Hamburg ist mir nun schon seit zwanzig Jahren neue Heimat. New York kenne ich von Besuchen und bei der eat-art, die im Buch eine große Rolle spielt, bin ich einfach Fan, von Daniel Spoerris „Fallenbildern“ in den 60er Jahren, bis hin zur wunderbaren, niederländischen Künstlerin Marije Vogelzang (http://www.marijevogelzang.nl), die heute Food, Design und kulinarische Philosophie in ihren künstlerischen Arbeiten und Aktionen vereint.“

_2: Gab es anfangs relativ schnell ein konkretes Gerüst für die Handlung das dann „nur“ noch gefüllt werden musste, oder nur einen grobe lose Idee, die sich dann beim Schreiben in die eine oder andere Richtung entwickelte?

„Die Geschichte trage ich tatsächlich schon sehr lange mit mir herum. Im Winter 2014 bekam ich dann von der Kulturbehörde Hamburg ein Stipendium und durfte vier Wochen im Laudinella Hotel in St. Moritz schreiben, das war ein Segen, danach war ich so weit, dass ich sagen konnte, ok, das könnte ein Roman werden. Zwei weitere Winter habe ich mir dann selbst längere Schreib(aus)zeiten erarbeitet, dabei entwickelte sich die Geschichte tatsächlich nochmal in andere Richtungen, beispielsweise ist der Kunstredakteur Gerd Möninghaus zu einer Hauptperson erwachsen. Auch der Umbruch in den Denk- und Arbeitswelten heutiger Verlagshäuser und Redaktionen wurde, neben der Kunst und der Kulinarik, zu einem Schwerpunktthema, das Anfangs so nicht auf dem Entwurf stand.“

_3: Was machst du bei Schreibblockaden? Kochen? In die Luft starren? Alkohol trinken? Keinen Alkohol trinken? Sport? Oder gab es die nicht und „es“ floss problemlos?

„Ich habe gottlob keine Schreibblockaden, wenn ich erst mal am Stoff sitze, wenn ich dran sitzen darf, dann geht es los. Mein Problem ist, die Zeit dafür zu finden, ich kann leider nicht „nebenher“ schreiben. Und da war das Stipendium schon eine große Hilfe, da hab ich gemerkt, ich brauche Konzentration, am Stück, ohne Alltagsrauschen und Abgabetermine, dann gelingt da auch was. Da bin ich sicher nicht allein, wir brauchen mehr Stipendien, für mehr AutorInnen, finanziell gesicherte Freiräume auf Zeit. Das kann der Kulturbetrieb alleine nicht umfänglich leisten, da könnten beispielsweise große Firmen oder Verbände ein gutes, ehrenvolles Werk tun, zwinker, zwinkre!“

_4 Kochbücher schreiben, Autor für diverse Kochzeitungen, Rezepte entwickeln, Erzählungen schreiben und dann jetzt auch noch ein üppiger Roman – viele würden bei so einem Pensum dann den Blog vernachlässigen – nutriculinary aber ist (immer noch) ein gut gepflegter anspruchsvoller Blog. Warum investierst du, trotz all der anderen, ja durchaus zeitintensiven Schauplätze immer noch in den Blog (der ja kürzlich eine grafischen Relaunch erfuhr)?

„NutriCulinary gehört für mich dazu, ein ganz wichtiger Aspekt meiner Arbeit, auch als Journalist und Autor. Das Blog ist Kommunikation und Austausch, das Blog gibt mir die Freiheit, Geschichten so umfänglich zu erzählen, wie ich will. Ich kann dort meine Arbeiten präsentieren und auch ganz persönlich meine Bücher vorstellen – das Blog ist zu meiner ersten Adresse im Netz geworden. Und es ist, nicht zuletzt, eine Plattform, die mir gehört und nicht einem börsennotierten Konzern.“

_5: Bei den beiden Erzählbänden gab es zu jeder kleinen Geschichte ein passendes Rezept. im großen Glander gibt es kein einziges Rezept, obwohl es doch soviel um Essen geht…ist das der „neue Paul“? Belletristik pur?

(lacht) „Neeee! Das ist eher der „andere Paul“. Ich habe in den vergangenen vier Jahren acht Kochbücher veröffentlicht, zwei Bücher habe ich als Co-Autor für Tim Mälzer geschrieben, dazu kommen sechs eigene Bücher zu den unterschiedlichsten Themen. Zudem entwickle ich ständig Food-Strecken und Rezepte für Magazine, Zeitschriften und Agenturen – alleine in diesem Jahr habe ich bisher knapp 180 Rezepte für Veröffentlichungen erdacht, entwickelt und gekocht. Ein Segen, dass der Roman nicht auch noch eine Rezeptsammlung enthält! Allerdings habe ich hier und da im Buch ein paar kulinarische Anregungen versteckt, es finden sich über sechzig Erwähnungen und/oder Beschreibungen von Speisen, Gerichten und Menügängen im Roman. Kleine Nähkästchen-Plauderei: alle im Buch erwähnten Speisen, habe ich entweder selbst irgendwann mal gekocht oder bei berühmten Kollegen gegessen, keine der Rezepturen ist reine Phantasie.“

_6: Dein neuer Roman, ist dein erster „langer“ Roman – und dann gleich so ein komplexer. Mit den verschiedenen Handlungssträngen auf verschiedenen Zeitebenen (nach den Erzählbänden “Monsieur, der Hummer und ich“ und „Schlaraffenland“) – ist das ja kulinarisch vergleich bar mit einem Mehrgangmenü. Was kommt als nächstes – erstmal zur Entspannung das eine oder andere Kochbuch – oder der nächste fette Roman? Eine Fortsetzung vom „Glander“? Potenzial dafür gäbe das Ende des Romans ja durchaus her…

„So hab ich das auch selbst empfunden, die „Langstrecke“ war nach den Erzählungen nochmal was ganz anderes, eine schöne Herausforderung. Und ein Kochbuch zu schreiben, ist dagegen ein Spaziergang, insbesondere quälten mich bei der Roman-Arbeit erheblich mehr Selbstzweifel als bei meinen Kochbuchprojekten, bei denen ich mich auf mein gelerntes Handwerk und meine Erfahrung verlassen kann. Als Nächstes erscheint wieder ein Kochbuch, aber erst im kommenden Jahr, jetzt geht es im Herbst und bis ins Frühjahr hinein, erst mal auf Lesereise mit dem Roman (die ständig aktualisierten Termine finden sich immer bei mir im Blog!). Darauf freue ich mich wieder ganz besonders: auf die Lesungen in Buchhandlungen, Kochschulen und Restaurants, die Begegnungen, die fröhlichen Abende mit alten und neuen Freunden und Bekannten.“

 

Kochrezepte, Kurzgeschichten, Märchenkochbücher und jetzt der erste große Roman- von Stevan Paul würde ich wahrscheinlich sogar den Einkaufszettel lesen!

Noch Fragen? Ja, eine noch: könnte ich bitte das Rezept vom Pesto aus Haselnüssen, Bärlauch, Sauerampfer und Fetakäse bekommen? Danke schön!

 

„Der große Glander“ von Stevan Paul – ein Buch mit kulinarischer Gänsehautqualität!

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288 Seiten für € 20,00 – das Buch erscheint im mairisch Verlag

 

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