Nie mehr miese Miso!

Miso! Unendliche Weiten. Unendliche Qualitätsunterschiede! Ich bin auf der Suche nach Miso. Der besten Miso.

Die Welt ist voll von schlechter Miso! Wer noch nie in Japan war, hat in der Regel seinen ersten Kontakt mit Miso in Form der Misosuppe – wenn’s gut läuft – bei einem guten japanischen Restaurant.

Wenn’s schlecht läuft, gab es eine Misosuppe als Gratisvorspeise in einer „Ding Dong Sushi Fusion“-Bude. Da bekommt man dann eine wässrige Suppe, die sich Misosuppe nennt – aber häufig nur im entferntesten an traditionelle japanische Misosuppe erinnert.

Möglicherweise habt ihr so etwas Ähnliches schon mal gegessen:

Die Zutaten: Misopulver 50% (Sojabohnen, Reis, Salz), Laktose, Zucker, Salz, getrockneter Wakame Seetang, getrockneter Tofu 5% (Sojabohnen, Wasser, Säureregulator: E575), Sojasaucenpulver (Sojabohnen, Weizen, Salz, Tapiokadextrin, Bonito Fischextrakt, Geschmacksverstärker : E621, E635, getrocknete Frühlingszwiebel.

Klingt super, oder?

Immerhin ist bei dem Misopulver tatsächlich nur Sojabohnen, Reis und Salz angegeben. Der Rest klingt nach 5-Minuten-Terrine – und hat auch eine ähnliche Qualität.

Und dabei ist echte Miso ganz einfach herzustellen – man braucht im Prinzip nur vier Zutaten – und Zeit – sehr viel Zeit. Mindestens 6 Monate, besser ein Jahr oder zwei. Das nennt sich dann Jahrgangsmiso – ihr versteht?

Apropos Zeit: um die Bedeutung der Miso in Japan und als Würzmittel zu verstehen, lohnt ein Blick in die Entstehungsgeschichte:

Miso (chin. jiang) wurde nicht etwa in Japan zuerst hergestellt, sondern in China,  und zwar in der Chou Dynastie (722-481 v. Chr.)  – und ist damit einer der ältesten Würzmittel der Menschheit.  Die ursprüngliche Idee dieser frühen Fermentierungstechnik war damit die Haltbarmachung von proteinreicher Nahrung (vorwiegend Fisch und Meeresfrüchte). Außerdem entdeckte man, dass die Kombination von Proteinen und Salz eine Intensivierung des Geschmacks hervorrief. In China hieß diese Haltbarmachung  jiang  – entstanden aus eine Paste aus zerkleinertem Fisch oder Meeresfrüchten, vermischt mit Salz und Reiswein. Diese Paste wurde in Steingutgefäßen 100 Tage und länger gelagert. Sie ist der Vorläufer der vietnamesischen nuoc mam (Fischsauce) und es fand sich in ihr weder Reis noch Sojabohnenanteile.

Ein interessantes „Nebenprodukt“ dieser Paste war übrigens jiangyou , das chinesische Wort für Sojasauce (wörtlich übersetzt: die Flüssigkeit aus gepresstem jiang).

Eine Verbreitung in die anderen asiatischen Länder fand jiang ab dem 1. Jahrhundert nach Chr. vor allem durch buddhistische Mönche und ihre Reisen statt. Die erste Erwähnung der chinesischen Misotechnik in Japan findet sich ca. 500 nach Christus. Doch gibt es in Japan frühe Erwähnungen von Haltbarmachungen durch Salz und Fermentation vor 4000 Jahren. Da chinesische und japanische Geschmäcker schon seit frühester Zeit sehr unterschiedlich sind, entwickelte sich eine schwere und sehr intensive jiang in China, während in Japan eine leichtere, subtilere Würzung bevorzugt wurde.

Besonders hochwertige hishio (dem japanischen Wort für jiang) gab es am kaiserlichen Hof, unter Kaiser Monmu (um 700 nach. Chr), wo damals schon ein Büro für Handel, Produktion und Besteuerung der hishio etabliert wurde. Bereits damals unterschied man zwischen 4-6 unterschiedlichen hishio-Qualitäten. Bis heute wird in den beiden damaligen Hauptstädten Nara und Kyoto die hochwertigere weiße Hatcho-Miso (aus Soja, Wasser, Salz und einem besonderen fermentierten Reis (Koji mit Aspergillus hatcho) bevorzugt, während im Rest des Landes die dunklere und intensivere Miso verwendet wird.

Ab ca. 700 Jahre v. Chr. taucht das Wort mi so im japanischen Sprachgebrauch auf, es wurden dafür zwei neue Schriftzeichen entwickelt: das Zeichen für „mi“ bedeutete „Geschmack“, das Zeichen für „so“ bedeutete „Hals“ oder „Kehle“. Die Umbenennung des Wortes vom chinesischen jiang in das neue japanische mi so, zeigt auch die kulinarische Weiterentwicklung von einer chinesischen Würzsauce in einen originäres japanisches Lebensmittel.

Von der Kamakura-Periode an, verbreitete sich die Miso von der Stadt aufs Land. Die herrschenden Shogune (deren Lieblingsessen Tofu, Miso und frittierter Tofu war) trieben den Anbau der Sojapflanze voran. Soja war bald überall verfügbar und das Sprichwort „Everything is alright, as long there is miso“ zeugt von der Wichtigkeit der Miso.

Der berühmte Samurai Takeda Shingen erkannte früh die Bedeutung von Miso für die Verpflegung der Soldaten. Um die Versorgung seiner Soldaten in seiner Provinz sicher zu stellen, lehrte er Bauern, Soja anzubauen und Miso herzustellen. So fand sich häufig ein kleiner Miso-Shop an Privathäusern und regionale Misovarianten entstanden.

 

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Miso-Herstellung  in Japan im 17.Jahrhundert (Quelle: The Book of Miso)

Bis heute werden drei Hauptsorten der Miso unterschieden: Hatcho, Kome (aus ganzen Sojabohnen, weißem Reis, Salz und Koji (Aspergillus oryzae) und Mugi, hergestellt aus ganzen Sojabohnen, Gerste, Salz und Koji (Aspergillus oryzae). Mitte des 19. Jh. wurde Maso kommerziell hergestellt und ab dem Ende des 2. Weltkrieges gelang es mit Hilfe modernisierter Produktionstechniken eine dramatischen Änderung der Gärmethoden. Der Geschmack der Miso passte sich den modernen Geschmäckern an.

Sojabohnenmehl (das ist der Trester bei der der Sojaölgewinnung) anstelle von ganzen Sojabohnen ist eine der großen Veränderungen in der Produktion der Miso, um ein billigeres Produkt zu bekommen.

Die heutige Misoindustrie verwendet die Temperaturkontrolle, um den Vergärungsprozeß zu beschleunigen, diverse chemische Zusätze, Farben, Zucker oder gebrannten Zucker.

Um den Prozess der Fermentation auszuschalten, wird die Sojamasse komplett vergoren (besondere Misoqualitäten, die sich während Zeit verändern, verschwanden somit fast vollständig).

Die traditionelle Misoherstellung erfolgt – immer noch –  nach den alten Rezepten:

Das Getreide wird gedämpft, mit dem Schimmelpilz Aspergillus oryzae (oder Aspergillus hatcho )“geimpft“ und in 2-3 Tagen entwickelt der Schimmelpilz kleine feine Härchen (Mycelium), die das Getreide verbinden. Der Geruch erinnert an Hefe. Dann wird der Getreidekoji mit gedämpften Sojabohnen, Salz, Wasser vermischt. In großen Zedernfässern, auf denen Steine dafür sorgen, dass die Mischung fest gepresst wird, beginnt es langsam zu gären. Der Schimmelpilz veranlasst die Freisetzung der Enzyme und der Prozess der Fermentierung beginnt.

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Traditionelle Misoherstellung in Zedernholzfässern (Quelle: The Book of Miso)

Das zugegebene Meersalz hat gleich mehrere Aufgaben: es unterstützt das Wachstum förderlicher Bakterien und unterdrückt das Wachstum unerwünschter Bakterien – und es verlangsamt den Fermentationsprozess. Fast jede Region in Japan hat eine eigene Schimmelpilzkultur – und somit entstehen überall im Land unterschiedliche Miso – abhängig von der Salzigkeit, des Schimmelpilzes und der Temperatur während der Gärung. Die Miso braucht die Jahreszeiten: in kühleren Monaten wird die Fermentation verlangsamt, in den heißen Sommermonaten nimmt sie wieder Fahrt auf – nur so bekommt man ein vielschichtiges Produkt. Während der 18-48monatigen Reifezeit wird die Masse ein paar mal umgerührt, um den Sauerstoff zu verteilen. Laut internationaler Zollregeln muss Miso pasteurisiert sein, wenn es fertig verpackt ins Ausland verschifft wird, um die Fermentierung (und die Explosion der Verpackung zu vermeiden). Die Pasteurisierung ist jedoch nur leicht, und verlangsamt die Bakterien – und Enzymvermehrung. Einige Naturkosthersteller verkaufen loses Miso in Gläsern.

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Traditionelle Misoherstellung bei Jamaki Yozo. Foto: Kenji Miura

 

Wer Lust – und Zeit hat, tiefer in die Miso-Materie einzusteigen: ich habe das „The Book of Miso“ von William Shurtleff und Akiko Aoyagi für meine Recherchen benutzt. Eine tolle – sehr intensive Zeitreise in die Geschichte der Miso.

 

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Mit diesem Wissen versehen, wollte ich selber Miso machen und habe mich bei Ryoko in Berlin-Neukölln angemeldet.

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Egal in welchem Zustand man ist – in Ryokos Salon kommt man zu Ruhe. Holzregale mit schönen Porzellanschalen und Vasen.

Handgearbeitete Teller.

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Apothekerflaschen mit ätherischen Ölen.

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Auf dem Tisch in der Mitte des Raumes: zehn Metallschüsseln, zehn gefaltete Schachteln, zehn „Manuals“.

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Ryoko hat schon ein wenig vorgearbeitet: Sojabohnen wurden bereits 24 Stunden in Wasser aufgeweicht und dann gekocht (4 Stunden)– und waren abgekühlt.

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Jeder bekam einen Gefrierbeutel mit gefüllt mit 200 gr. gekochten Sojabohnen (das fand ich ein bisschen befremdlich, war aber der Tatsache geschuldet, dass wohl nicht jeder gerne lauwarmen Sojabrei an den Händen und unter den Fingernägeln hat),  200gr. Koji, außerdem Meersalz und ein bisschen etwas von dem Sud in dem die Sojabohnen gekocht wurden.

Die Sojabohnen sollten soweit zerdrückt werden, dass nur wenig Struktur übrig bleibt.

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Dann wurde der fermentierte Reis mit Meersalz vermischt und wurde unter die Sojapaste geknetet. Mit ein bisschen Kochwasser der Sojabohnen wurde die Paste geschmeidiger.

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Unsere mitgebrachten (und sterilisierten) Gefäße wischten wir sorgfältig mit Vodka aus (es kann tatsächlich auch anderer Alkohol sein- Hauptsache er ist geschmacksneutral und hat mindestens 35% Alkohol).

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Die Soja-Reis-Salzpaste wird zu kleinen Bällchen geformt und mit der Faust fest in das Gefäß gepresst, möglichst ohne Luft einzuschließen.

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Am Ende kommt auf die festgedrückte Masse eine dünne Schicht Meersalz. Dann wurde ein bisschen Frischhaltefolie auf die Miso gelegt, Deckel drauf. Fertig.

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Mindestens ein halbes Jahr stehen lassen. Besser länger.

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Aber die Geduld wird belohnt. Mit einer sensationell aromatischen Misopaste.

Nach einem Jahr.

Und mit einer noch intensiveren Misopaste.

Nach zwei Jahren.

Wir nämlich durften Ryokos Miso aus den letzten Jahren nämlich mal probieren (Miso-Vertikalprobe, sozusagen) – und waren begeistert von diesen Aromen und dem großartigen Geschmack. Je reifer Miso ist, desto dunkler und intensiver wird sie.

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Wer selber mal Miso machen möchte: Sojabohnen und Meersalz in entsprechender Qualität findet man im Bioladen, bereits fermentierten und getrockneten Koji findet man zum Beispiel im Koji-Shop.

Noch besser ist es aber, sich auf die Suche nach frisch fermentiertem Koji zu machen.

Kurz nach meinem Miso-Workshop habe ich mich mit Markus Shimizu in Berlin getroffen, er stellt Kojiferment und außerdem Miso in vielen Variationen selber her und ich durfte bei ihm ein bisschen hinter die Kulissen blicken – und ein paar Kostproben von Misovarietäten gab es auch. Den Blogpost über Markus, sowie ein paar Rezepte mit Miso findet ihr hier.

 

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Miso making. So einfach ist das!